Offener Brief an den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V., den Senat der Freien Hansestadt Bremen,
die Heinrich-Böll-Stiftung Bremen und die Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,

am kommenden Freitag will der Verein "Hannah-Preis für politisches Denken" mit den Preis-Stiftern, den Böll-Stiftungen Berlin und Bremen und dem Senat der Freien Hansestadt Bremen, den Hannah Arendt-Preis für politisches Denken 2023 an die/den Historiker:in Masha Gessen verleihen.

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Bremen/Unterweser e.V. fordert die Verantwortlichen auf, diese Entscheidung auszusetzen. Die jüngsten Äußerungen von Masha Gessen in einem Essay im "New Yorker" haben deutlich gemacht, dass damit eine Person geehrt würde, deren Denken in deutlichem Gegensatz zum Denken Hannah Arendts steht. Eine solche Ehrung würde dem notwendigen entschlossenen Auftreten gegen den wachsenden Antisemitismus entgegenstehen. In diesem Essay verharmlost Masha Gessen die Organisationen, die zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels aufrufen, weil Israel ein "Kolonialstaat" sei; aber diese Boykott Bewegung hat mit den Weg dafür bereitet, dass vielerorts die Hamas-Terroristen des 7. Oktober als "Befreiungskämpfer" verharmlost oder sogar gefeiert wurden.

Als Deutsch-Israelische Gesellschaft befremdet uns vor allem Masha Gessens Aussage, dass Gaza "wie ein jüdisches Ghetto in einem von Nazi-Deutschland besetzten osteuropäischen Land" gewesen sei. Gaza wird seit 2005 von den Palästinensern selbst regiert, seit der gewaltsamen Machtübernahme unter der diktatorischen Herrschaft der Hamas. Das Land hat Milliarden Dollar und Euro internationaler Hilfe erhalten, die die Hamas nicht für das Wohl der wachsenden Bevölkerung ausgegeben hat, sondern für die massive, aggressive Aufrüstung gegen Israel (und das Luxusleben der Führung). Die Grenzkontrollen durch Israel (und Ägypten!) sollten diese Aufrüstung verhindern. Die nationalsozialistischen Ghettos in Polen, der Ukraine, Weißrussland, Im Baltikum waren Einrichtungen unter totaler Kontrolle Nazi-Deutschlands, geschaffen, um die Jüdinnen und Juden systematisch durch Hunger, Krankheiten und Ausbeutung zu töten. Aus den Ghettos wurden die Jüdinnen und Juden in den Tod durch Gewehrkugeln und Gas deportiert.

Es ist uns unbegreiflich, wie ein/e so erfahrene/r Wissenschaftler:in wie Masha Gessen, die sich so große Verdienste um die kritisch Analyse des russischen Imperialismus erworben hat, ernsthaft Gaza mit den Vernichtungs-Ghettos der Nazis gleichsetzen kann. Es gibt für uns nur eine Erklärung: Ein tiefsitzendes und grundsätzliches negatives Vorurteil gegenüber dem jüdischen Staat. Mit politischem Urteilen im Sinne Hannah Arendts hat das nichts zu tun.

Es steht Masha Gessen frei, solche Auffassungen zu vertreten, wir führen solche Diskussionen in diesen Tagen bei vielen Gelegenheiten; wie ja die kritische Beurteilung israelischer Politik auch ständiger Teil unserer Arbeit als DIG ist. Aber Masha Gessen sollte mit ihren Ansichten nicht mit einem Preis geehrt werden, mit dem der jüdischen Philosophin Hannah Arendt gedacht werden soll.

Hermann Kuhn
(Vorsitzender der DIG Bremen/Unterweser e.V.)

Bremen, 13. Dezember 2023